Jetzt oder nie

(in Erinnerung an meine erste Schreibwerkstatt in Aichach 2001)

Eines steht fest, wenn ich meinen Text jetzt nicht schreibe, wird er vor der nächsten Schreibwerkstatt nicht mehr geschrieben.

Eigentlich bin ich heute schon viel zu müde dazu. Es gab zu viele „Jetzt oder Nies“ in meinem Leben in den letzten Wochen. Vielleicht sollte ich es auf das eine oder andere Nie ankommen lassen und schauen, was übrigbleibt: Das sind dann die wirklich wichtigen, zu meinem Leben gehörigen Themen. Wenn ich im Bewusstsein behalte, dass nichts, was zu mir gehört, mir als Potential oder Möglichkeit verloren gehen kann, könnte ich mich ganz entspannt dem Risiko dieser vielen Nies aussetzen, und in aller Seelenruhe beobachten, was sich tut. Weshalb ich es jetzt auch in Sachen Geschichte drauf ankommen lassen und dem Ruf ins Land der Träume folgen werde. Wer weiß, was mir dort noch an Inspiration begegnet bis übermorgen, wer weiß.

Tja, da sitze ich nun, eine halbe Stunde vor Werkstattbeginn und bin nicht viel weiter als vor zwei Tagen. Ich fühle eine Abneigung gegen den ultimativen Charakter des Themas, wehre mich gegen den Stress, den es hervorruft. Ein Grund mehr dranzubleiben: Was mich unter Druck setzt, fordert mich heraus, damit umgehen zu lernen, ohne dass ich mich in der Opferrolle wiederfinde.

„Eile mit Weile!“ ist die Aussage, die ich dem „Jetzt oder nie!“ wie ein Schutzschild vor dem gestresst Werden entgegenhalte und: „Gut Ding braucht Weile.“

Inzwischen habe ich meine Tochter schlafen gelegt, meinem Ältesten seine tägliche Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen und habe noch ein paar Minuten, bevor ich los muss: Wie gerne würde ich viel mehr Zeit für mein Schreiben zur Verfügung haben! Paradoxerweise ist es bereits von mir Geschriebenes, das mich momentan vom Schreiben abhält, weil die nötigen Arbeitschritte bis zur Verlegung mich ganz in Anspruch nehmen. Seit ich selbst veröffenliche, weiß auch ich: Zum Schreiben gehört mehr als nur das Führen des Stiftes auf dem Papier. Ich werde das Handwerk des Schreibens, an dem ich seit jeher so viel Gefallen finde, mit neuer Ruhe ausüben, bis hin zur Veröffentlichung, im Vertrauen darauf, dass ich genug Zeit habe für alle meine Projekte.

Gestern erfuhr ich von dem Tod eines gleichaltrigen ehemaligen Klassenkameraden. Er starb einen plötzlichen und unerwarteten Tod durch Gehirnblutung. Für uns, die wir in die Zeit eingebunden sind, geht diese Zeit einmal zu Ende, zumindest auf dieser Ebene unseres Daseins. Dagegen bietet alles „Jetzt oder nie“ auch keinen Schutz, denke ich voll Schmerz über den jähen Verlust.

Ich beschließe einmal mehr, jeden Moment, jedes Jetzt, jedes Heute wie ein Geschenk zu achten und zu feiern, wissend, dass ich keine Macht über jegliche Art von Dauer habe. Ist es nicht immer eine Gnade, wenn etwas andauert und im Gefüge des Ganzen eine Weile Bestand haben darf? Und haben nicht Zerfall und Ende - und damit auch das eine oder andere "Nie" und "Nie mehr" - ebenso ihre Berechtigung im Reigen des ewigen Auf- und Niederganges? Vielleicht geht es vor allem darum, mein Jetzt so intensiv und entspannt zu leben, wie ich kann und mir über die möglichen Nies keine Sekunde mehr den Kopf zu zerbrechen, weil das wirklich verlorene Zeit wäre.